Auf diesem Friedhof sind bestattet:
ABRAHAM MOISES
1766 – 29.12.1847
HENRIETTE MOISES
17.05.1818 – 17.12.1896
SUSANNA MOISES
30.09.1896 – 26.08.1897
ADOLF MOISES
27.09.1897 – 31.10.1897
HERMANN MOISES
24.11.1898 – 17.02.1902
MOSES MOISES
24.06 1819 – 26.04.1913
MARCUS LEBENSTEIN
27.11.1856 – 04.06.1920
AMALIE LEBENSTEIN
23.01.1851 – 05.03.1932
ALEXANDER LEBENSTEIN
04.03.1859 – 12.09.1934
LINA LEVI
15.01.1858 – 03.04.1937
MEIER MOISES
22.12.1862 – 18.10.1937
„Was wäre es schön, wenn auf diesem Friedhof eine Tafel mit den Namen der hier Bestatteten angebracht werden könnte“, sagte Josef Moises aus Israel anlässlich seines Besuches in Wulfen im Jahre 1978. Josef Moises, geboren im Jahre 1900, war in Wulfen geboren und aufgewachsen. Er übernahm das elterliche Textilwarengeschäft an der Hervester Straße, war Mitglied im Schützenverein, in der Freiwilligen Feuerwehr und Mitbegründer des Heimatvereins Wulfen im Jahre 1922. In der Pogromnacht vom 9. November 1938 wurde er in Polizeigewahrsam genommen, wurde zusammengeschlagen und gezwungen, Haus und Geschäft zu verkaufen. Im Februar 1939 konnte das Ehepaar Moises als eine der letzten jüdischen Familien nach Palästina ausreisen und entkam somit dem Holocaust und der nationalsozialistischen Terror- und Vernichtungsmaschinerie. Josefs Schwester Adele Moises wurde 1939 unter Schlägen von SA-Leuten aus dem Dorf getrieben, hier über die B 58 Richtung Deuten. Sie kam in ein Judenhaus in Recklinghausen und wurde von dort ins Ghetto Riga deportiert, wo sie – wie Augen-zeugen berichtet haben – wegen ständiger Nahrungsmittelknappheit verhungerte. Mit diesem furchtbaren Ausgang endete die Geschichte des jüdischen Lebens in der Gemeinde Wulfen.
Begonnen hatte diese Geschichte des jüdischen Lebens im Jahre 1800, also vor über 200 Jahren, als der 1776 geborene Abraham Moises aus Anholt, einem Dorf im deutsch – niederländischen Grenzgebiet bei Bocholt, nach Wulfen zog. Die Forschungsgruppe „Dorsten unterm Hakenkreuz“ stellte fest, dass die Familie Moises „wohl die älteste nachweisbare jüdische Familie im heutigen Dorsten war“. Abraham Moises war Händler und Metzger. Als westfälischer „Kiepenkerl“, mit der Kiepe auf dem Rücken, betrieb er Kleinhandel in Wulfen und Umgebung, ging durch die Bauernschaften in Wulfen, Deuten, Lembeck und Reken. Im Jahre 1838 erwarb Abraham Moises dieses Grundstück und legte hier einen jüdischen Friedhof an. Er selbst starb 1847 und wurde als erster auf diesem Friedhof beigesetzt.
Die zweite Generation der Moises-Familie in Wulfen waren Moses Moises und seine Frau Henriette. Die Familie hatte drei Kinder und wohnte seit 1868 in einem kleinen Haus an der Matthäusgasse im Dorfkern. Dort betrieb Moses Moises ein Geschäft mit Manufakturwaren und eine Schlachterei. Moses Moises wurde 93 Jahre alt und wurde 1913 hier auf dem Friedhof beigesetzt. Seine Frau Henriette starb schon 1896 und wurde auch hier bestattet.
Die dritte Generation der Familie Moises wurde von Meier Moises repräsentiert. Er führte das elterliche und großelterliche Geschäft fort und galt in Wulfen und in der Herrlichkeit Lembeck als geachteter Geschäftsmann. Er war fest in das dörfliche Leben integriert, war 1882 Schützenkönig des Allgemeinen Bürgerschützenvereins Wulfen und Vorstandsmitglied der Synagogenhauptgemeinde Dorsten. Im Jahre 1928 kaufte Moises ein Grundstück an der Hervester Straße und baute dort – gegenüber vom Ehrenmal – ein neues Wohn- und Geschäftshaus. Er war verheiratet mit Johanna Jacob. Aus dieser Ehe gingen sieben Kinder hervor, von denen aber schon drei im Kindesalter verstarben: Susanna Moises, Adolf Moises und Hermann Moises sind auf diesem Friedhof in den drei Kindergräbern beigesetzt. Die Tante von Josef Moises, Lina Levi, geboren 1858, kam nach dem Tode ihres Mannes 1921 nach Wulfen und wohnte im Hause der Familie. Sie starb 1937 mit 79 Jahren und wurde hier auf dem Friedhof beigesetzt. Meier Moises starb im Jahre 1937 mit 74 Jahren. Er war der letzte Verstorbene, der hier auf dem jüdischen Friedhof beigesetzt wurde.
Die zweite jüdische Familie in Wulfen war die Familie Lebenstein. Die Begründer der Wulfener Linie dieser Familie waren Marcus und Alexander Lebenstein. Beide wurden in Lembeck geboren, Marcus 1856 und Alexander 1859. Sie zogen von Lembeck nach Wulfen. Marcus blieb unverheiratet und starb 1920 in Wulfen. Er ist auf diesem Friedhof beigesetzt. Alexander Lebenstein kaufte 1894 ein Haus auf dem Kirchplatz an der Matthäuskirche. Er war Viehhändler, kaufte und verkaufte Rinder im ganzen Westmünsterland bis hinauf zur holländischen Grenze. Alexander war Mitglied und im Vorstand des Wulfener Schützenvereins. Er war verheiratet mit Amalie Lebenstein. Das Ehepaar hatte vier Kinder. Amalie und Alexander sind beide auf diesem Friedhof beigesetzt. Sie starben 1932 und 1934. Ihre vier Kinder sind nicht hier beerdigt. Der zweite Sohn, Hermann Lebenstein, fiel im Ersten Weltkrieg im Alter von 27 Jahren als Soldat an der Westfront in Frankreich. Sein Name steht auf der Gedenktafel für die gefallenen Soldaten am Wulfener Ehrenmal.
Der älteste Sohn, Josef Lebenstein, geboren 1886, übernahm das Haus am Kirchplatz und den Beruf des Vaters als Viehhändler. Auch er kämpfte im Ersten Weltkrieg als Soldat für sein Heimatland Deutschland an der Front. 1922 heiratete er Paula Friedmann aus Thüringen. Das Ehepaar bekam zwei Kinder, die Tochter Herta und den Sohn Günter. Josef Lebenstein war Mitglied im Allgemeinen Bürgerschützenverein in Wulfen und im Vorstand des Vereins. Auch in der Freiwilligen Feuerwehr war er aktives Mitglied. Über zwanzig Jahre, von 1913 bis 1933, war er Schriftführer der Wulfener Feuerwehr und seine gewissenhaften Aufzeichnungen sind bis heute in den Archiven der Wulfener Feuerwehr nachzulesen. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung musste er sein Amt abgeben.
Noch 1937 hatte Josef Lebenstein die hier zu sehende freie Fläche vom Grafen von Merveldt gekauft, um den Friedhof zu erweitern und für sich und seine Familie eine würdige Ruhestätte zu haben.
Einen radikalen Einschnitt brachte der 9. November 1938. In der Pogromnacht wurde dieser Friedhof von SA-Leuten verwüstet. Dem zehnjährigen Günter Lebenstein wurde der Besuch der Wulfener Volksschule verboten. Er wurde mitten aus dem Unterricht herausgeholt und ihm wurde erklärt, dass er die Schule nicht mehr besuchen dürfe. Die Lebensteins wurden aufgefordert, Deutschland kurzfristig zu verlassen. Das Haus und der den Lebensteins gehörende Friedhofsteil mussten verkauft werden und am 22. Dezember 1938 emigrierte die Familie nach Amsterdam. Die Familie wähnte sich dort in Sicherheit, aber mit dem deutschen Überfall und der Besetzung der Niederlande befand sich die Familie Lebenstein seit Mai 1940 wieder unter der deutschen Gewaltherrschaft. Am 9. Juli 1943 wurde die Familie Lebenstein in das Lager Westerbork in Nordholland gebracht. Herta Lebenstein, mittlerweile mit einem Werner Münzer verheiratet, gebar im Lager im Dezember 1943 den kleinen Sohn Peter Münzer.
Josef Lebenstein und seine Frau Paula, der Sohn Günter und die Tochter Herta sowie ihr kleiner, erst 10 Monate alter Sohn kamen ins Konzentrationslager Auschwitz und sie haben alle nicht überlebt. Sie sind dort in den Gaskammern ermordet worden. Zu ihrem Gedenken wurden im Jahre 2007 die sogenannten „Stolpersteine“ am Rande des Matthäuskirchplatzes verlegt, damit sie und ihre Namen nicht in Vergessenheit geraten.
Der einzige Überlebende aus dieser Familie war der angeheiratete Mann von Herta Lebenstein, Werner Münzer. Die Geschichtsgruppe des Heimatvereins hat nach ihm gesucht und hat ihn in den USA ausfindig machen können. Werner Münzer hat den Holocaust überlebt. Er ist heute (2014) 93 Jahre alt.
Von der Familie Moises kamen die beiden Schwestern Paula und Adele im Ghetto Riga ums Leben. Josef Moises, seine Mutter Johanna und seine Frau Senta konnten 1939 nach Palästina auswandern. Josef und seine Frau bauten sich in einem neu gegründeten Kibbuz eine neue bäuerliche Existenz auf. 1944 wurde ihre Tochter Miriam geboren. Josef Moises hielt zeit seines Lebens brieflichen Kontakt zu einigen Wulfenern, den intesivsten mit seinem früheren Mitschüler und Nachbarn Gottfried Roring. 1978 kam er während eines Europaurlaubs für einen Tag nach Wulfen. Er besuchte diesen Friedhof und äußerte hier den Wunsch nach einer Namenstafel.
Diesen Wunsch, von dem Mitglieder der Geschichtsgruppe des Heimatverein Wulfen erst viel später an Hand von Quellen erfahren haben, hat der Heimatverein Wulfen ihm – wenn auch spät und viele Jahre nach seinem Tod 1985 – im April 2014 erfüllt.
Aus der angedachten Namenstafel ist nun ein sehr schöner gestalteter und würdiger Stein geworden. Dafür danken wir dem Steinmetz, Herrn Odinokov und seiner Frau, ganz herzlich. Auch der Stadt Dorsten, Herrn Bürgermeister Lambert Lütkenhorst und der Sparkasse Vest Recklinghausen danken wir recht herzlich für die Unterstützung dieses Vorhabens. Ohne ihre Hilfe wäre die Aufstellung des Gedenksteins in seiner jetzigen Form nicht möglich gewesen. Wir bedanken uns auch bei Herrn Klemme und den Schülerinnen und Schülern der Gesamtschule Wulfen, die der Gedenkstunde im April 2014 mit ihrer musikalischen Begleitung einen würdevollen Rahmen verliehen, sowie bei Herrn Dr. Gutkin und Herrn Tourgmann von der jüdischen Gemeinde Recklinghausen, die diese Gedenkstunde mit gestalteten.
Den hier Bestatteten und ihren heute lebenden Nachkommen rufen wir zu:
Wir werden euch nicht vergessen.
Wir wollen, dass dieser Friedhof eine würdige Erinnerungsstätte bleibt.
Wir möchten die Erinnerung an jüdisches Leben in Wulfen aufrecht erhalten.
Wir möchten, dass die Auslöschung jüdischen Lebens, Unrecht und Holocaust nicht vergessen werden.
Wir möchten ein Zeichen setzen gegen Unrecht und Intoleranz.
Mögen die Toten hier ruhen in Frieden!