Notkirche St. Matthäus Wulfen

Nachdem Pfarrer Franz Janmieling im Februar 1945 freiwillig auf die Pfarrstelle in Wulfen verzichtet hatte, wurden bis zur Ernennung eines neuen Pfarrers die Amtsgeschäfte der Pfarre Wulfen dem Kaplan Ferdinand Brüning, bereits seit 4 Jahren als Kaplan in der Matthäusgemeinde tätig, übergeben. Damit fiel diesem nach der Zerstörung der Wulfener Kirche am 22. März 1945 die Verantwortung zu, den Wulfenern in diesen schweren Zeiten so schnell wie möglich einen neuen tröstlichen Ort für Gebete und Gottesdienste zu bieten. Der Dorfchronik aus dem Jahr 1945 ist zu entnehmen, dass er diese Aufgabe mit Bravour meisterte: „Den besonderen Bemühungen des Herrn Kaplans und Pfarrverwalters Brüning war es zu verdanken, daß bereits am 23. April der Grundstein zu einer Notkirche gelegt werden konnte. Dazu diente eine 9 m breite und etwa 25 m lange Holzbaracke aus der ehemaligen Flakstellung im Köhlerfeld, die von der amerikanischen Militärbehörde für diesen Zweck kostenlos zur Verfügung gestellt und auf dem Grundstück des Mechtildisstiftes nördlich der Reichsstraße aufgebaut wurde.“

„Als Raum für den Gottesdienst bewilligten uns die Amerikaner am 23. März den Kindergarten, der in den letzten Monaten vom deutschen Militär benutzt worden war. Somit konnte dort an Ostertagen (1. April) zum ersten Mal Gottesdienst gehalten werden (4 hl. Messen); außerdem waren noch hl. Messen bei Westrich, Joh. Schoenebeck; Rößmann-Kleine-Kottendorf u. bei Ketteler im Wauert. Diese Ordnung wurde in etwa bis Pfingsten beibehalten. Damit hatten alle Gläubigen der Gemeinde Gelegenheit, auch in sehr unruhiger Zeit des Sonntags einer hl. Messe beizuwohnen. Allerdings war alles nur behelfsmäßig.

Auf Anregung des Meßdieners Gottfried Ketteler beantragte ich daher am 4. April beim englischen Offizier eine in der Flakstellung im Köhler-Feld leer stehende Holzbaracke als Raum für den Gottesdienst. Dieser Antrag wurde am 7. April mündlich und am 8. April schriftlich bewilligt. Der am 8. April im Kindergarten tagende Kirchenvorstand beschloß, die Notkirche auf dem Gelände der hiesigen Clemensschwestern, hinter den Gemeindehäusern von Buddenbrock und Frl. Husmann, zu errichten. Mit den Schwestern wurde ein diesbezüglicher Pachtvertrag geschlossen.

Kaplan Brüning schildert diese Zeit in der Wulfener Kirchenchronik:

Am 11. April wurde mit dem Abbruch der Baracke begonnen. Da wegen der Zerstörungen überall, an der Eisenbahn, an der Muna, im schwer getroffenen Dorsten, vor allem aber wegen des politischen Umsturzes, fast alle Betriebe und Werke still lagen, waren in diesen Tagen Arbeitskräfte in genügender Zahl zu haben. Schlimmer war es mit Fahrzeugen, da die Bauern mit der Feldarbeit sehr zurück geblieben waren und infolge Requirierung seitens des deutschen Militärs viele Pferde hatten abgeben müssen. Und doch waren auch sie zur Stelle. Ja, die ganze Pfarrgemeinde wetteiferte gleichsam bei den Arbeiten zur Errichtung der Notkirche. Jeden Tag war eine Mannschaft zur Stelle. Mehr als 100 Wagen fuhren zur Flakstellung und zur „Muna“, um Bretter u. Balken, Steine, Zement, Kalk, Glas, Teerpappe, Stühle und Zementplatten und sonstiges Material zu holen. Von der Teerpappe haben nachher etwas 90 Familien für die Bedachung ihrer Bauwerke mitbekommen.

Am Nachmittag des 23. April konnte ich in Anwesenheit des Bauunternehmers Johann Wolthaus aus Deuten, des Poliers Urban mit einigen Männern, und der hiesigen Schwester Oberin Arabia den Grundstein zum neuen Gotteshaus legen und ihn feierlich einsegnen. An den nun folgenden Aufbauarbeiten wirkten vorzüglich mit 2 auf dem Heimweg befindliche Arbeiter der „Organisation Todt“, die Schreiner Adolf Heinrich aus Koblenz u. Peter Braun aus Bellheim im Hunsrück. (vom 14.4. – 1.5.45). Die Schreinerarbeiten führten aus: Böhne, Wolthaus, Brüggemann, Heinr. Vadder, Langenhost u. Josef Ketteler; die Maurerarbeiten lagen in der Hand von Franz Wolthaus, Urban u. Rößmann. Als Dachdecker fungierte einige Tage Herr Schnickers aus Wesel. Die Anstreicharbeiten vollführte Bernhard Steggewerth. Pfarrer Böing von Hervest-Dorsten St. Josef schenkte uns einen noch gebrauchsfähigen Altar und eine Kommunionbank, beide im Barockstil. Graf von Merveldt stellte leihweise einen Kreuzgang vom Michaelisstift zur Verfügung. Aus der alten Kirche holten wir das Taufbassin. Schreinermeister Böhne faßte es in einen schönen Rahmen. Somit hatte die Kirche auch ihren Taufbrunnen. Die elektrische Leitung ließ sich zum größten Teil aus dem aus der alten Kirche Geborgenem wiederverwerten. Josef Feller legte sie in der neuen Kirche an. Infolge einer solch intensiven Mitarbeit der ganzen Pfarrgemeinde konnte die neue Notkirche schon 3½ Wochen nach ihrer Grundsteinlegung durch den Hochwürdigen Herrn Dechant Eing aus Holsterhausen eingeweiht werden, und zwar am Freitag, dem 18. Mai 1945, 4 Uhr nachmittags. Die ganze Gemeinde nahm an dieser Feier teil. In feierlicher Prozession wurde das Sanktissimum vom Schwesternhaus, wo es außerhalb der hl. Messen und Andachten aufbewahrt wurde, von Engelchen, Meßdienern und Priestern zum Gotteshaus gebracht. Dir Festpredigt hielt Herr Dechant Eing, Er dankte darin allen, die zum schnellen Aufbau des Gotteshauses beigetragen hatten, vor allem auch den hiesigen Ordensschwestern.

Am hohen Pfingstfest, am 20. Mai, wurde zum ersten Mal das hl. Opfer in der Notkirche gefeiert. Gleichzeitig hatten wir dort an den 3 Pfingsttagen auch die übliche Feier des 40stündigen Gebetes. Die Predigten hielten: Pfr. Wehling, Rektor Simons aus Deuten und Professor Dr. Brüser aus Dorsten. An den folgenden Tagen der Woche war der Gottesdienst noch im Kindergarten. Jeden Abend war dortselbst auch eine gut besuchte Maiandacht mit kurzem Vortrag über die Gottesmutter ___ An diesen Wochentagen wurde eifrig an der Errichtung der Sakristei gearbeitet. Am letzten Wochentag konnte sie in Benutzung genommen werden. Ihre Gesamtgröße beträgt 4×12 Meter. Ein Teil davon wurde als Abstellraum abgetrennt. Da in der alten Kirche zwar fast alle Paramente, aber kein Schrank heil geborgen werden konnte, kamen uns die vom Militär zugelassenen Schränke zur Aufbewahrung der Meßgewänder und sonstigen Kirchensachen gut zustatten. Angenehm ist in der Sakristei die Wasserleitung, die Josef Lülf anlegte. Das Glöcklein über der Kirche hat Franz Badde, Verwalter im Schwesternhaus, besorgt. Das Teil wurde von der Familie Albers gestiftet.

Die Größe der Kirche ohne Sakristei beträgt 33×8,7 m, ohne Sakristei. In 3 hl. Messen kann die Gemeinde Wulfen dort Platz finden. Das Chor und auch der letzte Teil der Kirche sind 18 cm höher als das Mittelstück. Als Ersatz für die zerstörten Bänke konnten Stühle, Hocker und Bänke aus der ‚Muna‘ besorgt werden, rund 250 Sitzplätze. In der Mitte und zu beiden Seiten sind die Gänge; infolgedessen ist nunmehr beim Kommunizieren eine schöne Ordnung. Da in der alten Kirche nur ein Gang war, hatte sich nie eine diesbezügliche Ordnung an der Kommunionsbank erreichen lassen.

Voraussichtlich wird die Gemeinde Wulfen etliche Jahre die Notkirche als Raum für den Gottesdienst benutzen müssen. Um deshalb ihre Schönheit zu erhöhen, wurde beim Möbelfabrikanten Felsenbusch in Dorsten ein neuer Altar bestellt, der demnächst seine Aufstellung in der neuen Kirche finden dürfte. Das Geld dafür wurde gestiftet. Die neuen Bänke sind beim Schreinermeister Böhme in Auftrag gegeben, der hierzu die noch erhaltenen Bänke aus der alten Kirche verwerten will. 2 Bänke hat Herr Rentmeister Dreymann gestiftet. Von Rhade erhielten wir einen im Jahre 1942 ausgeliehenen Beichtstuhl zurück. Als zweiter Beichtstuhl wird eine Kniebank mit Gitter einstweilen benutzt.

Aus der alten Kirche konnten einige Wochen später das Bild der „Immerwährenden Hilfe“, die „Schmerzhafte Mutter“ und „die Mutter Anna“ geborgen werden. Sie haben alsbald ihren Platz in der Notkirche gefunden. Der Gang neben der Kirche und auch der Weg zur Straße wurden mit Zementplatten aus der Flakstellung gepflastert. Zwar liegt die neue Kirche reichlich nahe zu den benachbarten Häusern. An und für sich war eine größere Bebauungsfläche vorgesehen. Doch es war leider nicht mehr Grund und Boden zu bekommen.

Möge der eucharistische Heiland von seiner neuen Wohnstätte aus die Gemeinde Wulfen immer wieder segnen, und mögen die Gläubigen ihn dort oft besuchen und anbeten!

Rückblickend kann die Gemeinde Wulfen Gott danken, daß sie hier nach der Zerstörung ihrer altehrwürdigen Matthäus- Kirche so schnell ein Gotteshaus wiederbekommen hat, und daß umso mehr als ringsum viele Städte und Dörfer mit ihren Kirchen in Trümmern liegen. Für die sonst noch zerstörten Kirchen der Umgebung, Erle, Dorsten St. Agatha u. St. Franziskus und Lippramsdorf, konnte nur für letztere bisher eine Ersatzkirche erstellt werden.

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Anfang Juni wurde mit den Aufräumungsarbeiten an der alten Kirche begonnen, zunächst von innen dann, Anfang Juli, auch von außen. In den Abendstunden half die männliche und weibliche Jugend, wechselweise je einen Abend, eifrig mit. Lieder konnte kaum ein Stück des Inventars unbeschädigt geborgen werden. Vollständig zerstört waren die 40 Bänke – Anfangs war nur eine Einzige zu sehen -, die 3 Beichtstühle, Kanzel, Orgelbühne, die Kreuzwegstationen, Heiligenfiguren, Seitenaltäre, Kommunionbank usw. In der Sakristei war es ein wüstes Durcheinander, wenn auch hier unter Mithilfe der Meßdiener schon in den ersten Tagen nach der Bombardierung sämtliche Paramentensachen geborgen werden konnten. Der Turm war stehen geblieben; doch war durch die Erschütterung die Orgel abgesackt und von dem nachfallenden Gewölbe z.T. eingedrückt worden. Am Donnerstagmorgen, dem 22. März, hatte der Organist Bartmann als letztes Lied auf ihr gespielt: „Am Ölberg in nächtlicher Stille ergab sich dem Vater sein Wille.“ – Ihre Holzteile wurden zur Pastorat, ihre Metallteile, Spieltisch usw. nach Krewerth gebracht und dort auf dem Dachboden gelagert. Wann wird sie wieder gebrauchsfähig sein und zur Ehre Gottes ihre Stimmer ertönen lassen?

Obwohl die Turmuhr einen gewaltigen Sturz erlitten, blieb sie doch fast unbeschädigt. Ein Vertreter der Firma Vortmann baute sie im Mai im Turm auf.“

Am 25. Juni 1945 ernannte der Bischof den Vikar August Pelkum aus Werne zum neuen Pfarrer von Wulfen. Auch der Kriegspfarrer Wilhelm Mehring, Kaplan zu Wulfen, kehrte Mitte Juli nach 5½ jährigem Militärdienst nach Wulfen zurück. Kaplan Ferdinand Brüning, am 4. August 1941 nach Wulfen berufen, wurde am 25. Juli 1945 nach Osterfeld St. Marien versetzt. Am 4. August nahm er von Wulfen Abschied.

Quelle:
– Dorfchronik Wulfen
– Auszug aus der Wulfener Kirchenchronik