Der Kiepenkerl

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Wulfener Kiepenkerle: v.li. Bernhard Heming und Kalle Lutz

Allerorts begegnet man heute in Westfalen, insbesondere aber im Münsterland, dem Kiepenkerl. Populär wie noch nie präsentiert er sich bei den verschiedensten Veranstaltungen, besonders bei den Heimatfesten, der breiten Öffentlichkeit. Vielfach wird der Kiepenkerl heute von den unterschiedlichsten Branchen vermarktet und mit ihm Werbung betrieben. So gibt es im Münsterland beispielsweise Kiepenkerl- Reisen, -Chöre, -Sämereien, -Gaststätten, -Aufkleber „Westfalen sind Klasse“ und anderes mehr. In Münster gibt es rund um das Kiepenkerldenkmal ein Kiepenkerlviertel. Als Souvenier findet man die Kiepenkerlfigur in Porzellan, Metall oder Steingut hergestellt. Man sieht ihn auch als Räuchermännchen sowie auf Handtüchern und Decken aufgedruckt. Wer und was war nun der heute so populäre Kiepenkerl?

Kiepenkerle waren wandernde Kleinwarenhändler. Im nördlichen Münsterland wurden sie auch Tödden (Zugvögel) genannt. Der Warenkorb war die Kiepe, eine Rückentrage. Handelsware waren Dinge des täglichen Gebrauchs wie Nähgarn, Nadeln, Knöpfe, Band, Stopf- und Strickgarn, Messer, Scheren, kleine Geräte für den Haushalt und vieles mehr. Die Waren wurden meistens getauscht; gehandelt wurde Ware gegen Lebensmittel. Der Kiepenkerl wanderte in der Regel zwischen Stadt und Land. Die Gebrauchsgegenstände trug er aufs Land, die Lebensmittel in die Stadt.

Jeder Kiepenkerl zog regelmäßig seine eigenen Wege. Die ihm bekannten Bürger, Handwerker und Bauern waren die beste Grundlage für sein Geschäft. Durch seine Gespräche beim Handeln mit den vielen Leuten war der Kiepenkerl auch der Überbringer von Neuigkeiten und Nachrichten. So vermittelte er auch manchen Auftrag an Viehhändler und Handwerker. Auch als Ehevermittler und vertrauenswürdige Person war er bekannt. Viele Kiepenkerle waren auch fahrende Handelsleute, die mit Plan-wagen über die Lande und Märkte zogen. Manches große Kauf-haus von heute hat als Ahnvater einen Kiepenkerl. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts wanderten die Kiepenkerle kreuz und quer durch die Lande. Durch die heutige Mobilität und schnellen Verkehrs-verbindungen ist der wandernde Kiepenkerl von einst als Kurzwarenhändler nicht mehr existent. So wie die Kiepenkerle sich früher der plattdeutschen Sprache bedienten, so führen auch die heutigen Nachahmer ihre Unterhaltung ebenfalls grundsätzlich in plattdeutscher Mundart. So stellen wir den Kiepenkerl vor:

De Kiepenkärl (Text: Heinrich Schonebeck †)

In’t wiete shöne Mönsterland,
dao is de Kiepenkärl bekannt,
un tüsken Land un Stadt,
dao is he alledage up’n Patt,
un küert am leiwsten deftig Platt.

Jao, so’n Kiepenkärl dat is en Mann,
de allerhand Uh brengen kann.
He brengt Uh düt, he brengt Uh dat,
van de Musefalle bües tao’n Suermoosfatt.
Aower aok Gardinen, Spitzen un Linnen
Könnt Ih met Wuorst, Eier off Buoter gewinn’n.

Jao ohne Geld, met’n taoen Bühl könn’ Ih all’s kaopen.
Un hätt dat Geschäft dann ennigermaoten laopen,
dann häw ik naomdaggs so üm Uhr off veier,
de Kiepe vull met Buoter, Wuorst, Speck un Eier,
un de breng ik dann in de Stadt an de Frau odder den Mann.
Dao sitt dann aok noch en Kassmännken dran,
dat gaiht aower dat Finanzamt garnix an.

Jao, de Kiepenkärl de weet Besheit,
he weet wo’t biäste Kohdier steiht,
weet we de biäste Buoter määk,
un wuo de Shinken am biästen smääk.
Jao un sök’t en jungen Kärl ne Brut,
aok dao kennt de Kiepenkärl sik ut.
So mannig Deernken kregg en gudden Mann,
de Kiepenkärl smeert nümmes an.

Jao, wiet un breet is de Kiepenkärl bekannt,
drüm weet he aok we metnander is verwandt.
Un so brengt he dann van Huus tao Huus
Dat Nijeste un en hiärtliken Gruss.
Och jao, so’n Kiepenkärl is nich tao beneiden,
he liäwt so gans, gans besheiden.
In sien Geschäft arbeit’ blos een Mann,
nee, dao päk’t ken annern met an.
Up seine egenen Been
Driägt he de Kiepe gans alleen,
bi Riängen, Wind un Sunnenbrand
krües un quer düört Mönsterland.
Daobi löp’t he van Düör tao Düör,
ächter de paar Pennige her.
Ne Gold kann de Kiepenkärl nich spinnen,
wull aower dat Hiärt van de Lüe gewinnen.

Gistern sägg noch ne Frau tao mi,
Ih könnt’ ruhig weeten, Ih kennt’se allet
was Schulte-Piepenbrink’s Marie,
jao dat is ne Seele van Frau.
„Hinnerk“ sagg se, „hör äs tao.
Du häss wull noch lük Tied,
sätt de Kiep män an de Siet,
un smiet di van de Been.
Ik büen in’t Huus alleen,
kass mi de Tied vertellen,
biet Erpel shällen.
Jao, un dann bliew’s vandage bi us an’n Trogg,
tao Iäten häbbt wi genog.“

Ik häbb dao niks up entiegen,
dat lao ik mi nich tweemol säggen.
So’n Angebaot niem ik dan dankend gärne an.
En Kiepenkärl de is jao nich verwüönnt,
he iät un drinkt wat man öm güönnt.
Off dat nu is Speck, Wuorst odder Fisk,
he iät all’s wat dao küemt up de Disk.

Jao, so’n Teller Gröönkaohl met en Stück Wuorst,
dat niemm ik mi gärn tao de Buorst.
Off Baunengemöös met een Stück Speck,
aok dat drück ik mi met Appetiet weg.
Jao, so gudde Saaken,
de laot ik mi wull smaken.
Süenk’dann rundherüm nett satt,
dann mak ik mi wier up den Patt.

Vandage aower nu,
büen ik met de Kiep bi Uh.
Nich üöwer Iäten un Drinken to küren,
nich üöwer Geld un de Stüern.
Nee, wi willt us en Piäpperpotthast maaken,
van aolle Döhnkes un lustige Saaken.
Met Leedkes un Dänskes vull Spass un Plaseer,
in’ deftiget Platt, jao wat will wi noch mehr.

De Spraoke de is jao shön un so sööt,
se is so sinnig un vull Gemööt.
Un süend wi aolt un baoll verslietten,
use Moderspraock, dat Plattdütsk, will wi nich vergiäten.
Drüm will wi dat aolle lärwe betreun’,
willt lustig sein un us van Hiärten freun.

Goad gaohn !
Holt Uh fucht,
dann wiärd Ih nich rapp,
un loapt met
hunnert Joahr noch drapp.“

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Am 10. 11. 2002 stirbt Heinrich Schonebeck im Alter von 87 Jahren.
Der gebürtige Wulfener war bis zu seiner Pensionierung als Bahnhofsvorsteher im Bahnhof Wulfen angestellt.

Seine Natur- und Heimatverbundenheit brachte er eindrucksvoll in seiner Freizeitgestaltung zum Ausdruck. Eines seiner Hobbys war die Imkerei, der er in dem alten Pastorat im Köhl, wo er früher auch mit seiner Familie wohnte, nachging. Nicht zuletzt ist es ihm zu verdanken, dass der Heimatverein Wulfen im Jahre 1984 neu gegründet wurde.

Der Ur-Wulfener und engagierte Heimatfreund war landauf landab bekannt als Münsterländer Kiepenkerl, einer Brauchtumsgestalt, die er mit Leib und Seele spielte. Auch als Drehorgelspieler konnte man ihn erleben. Das Wiederaufleben des traditionellen Flachsanbaus und seiner Verarbeitung ist mit sein Verdienst, ebenso wie ihm die Erhaltung und Pflege der plattdeutschen Sprache eine Herzensangelegenheit war, was er u.a. in mehreren Beiträgen im Heimatkalender der Herrlichkeit Lembeck zum Ausdruck brachte.