Schnatgänge

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Aufgrund der im Mittelalter reich vorhandenen Landflächen bestand keine Notwendigkeit, dem einzelnen Nachbarn genaue Grenzmarken für die Bewirtschaftung von Acker, Weide und Wald zu setzen. Mit zunehmender Besiedlung und wachsender Bevölkerung ergab sich hierfür jedoch aus verschiedenen Gründen ein immer größeres Bedürfnis. Immer häufiger kam es damals zu Grenzstreitigkeiten, die meistens nur durch Lokaltermine der Markengerichte, auch Holzgerichte oder Hölting genannt, geschlichtet werden konnten. Zur Vermeidung solcher Grenzstreitereien wäre es hilfreich gewesen, Grenzen genau zu bezeichnen und in Karten festzuhalten. Dies war in damaliger Zeit in Ermangelung erforderlicher Hilfsmittel großflächig nicht möglich. Da auch natürliche Grenzen wie Bäche, Flüsse und Anhöhen oftmals nicht zur Festlegung der Nutzungsgrenzen ausreichten, mussten künstliche Grenzmale wie Gräben und Wallhecken oder Landwehren hierfür herhalten. Die Landwehren bestanden aus mehreren, nebeneinander laufenden Gräben, die in größerem Umkreis um die Städte und Dörfer zum Schutz vor feindlichen Überfällen angelegt wurden und deren Erdaushub zu Wällen aufgeworfen war. Im Laufe der Zeit waren die Wälle dieser Landwehren stark mit Dornengestrüpp und dichten Bäumen bewachsen, so dass sie manchmal schier undurchdringlich waren.

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In Wulfen war bis zur Verkoppelung im Jahre 1914 noch eine derartige Landwehr im „Linnert“ vorhanden. Grenzmarkierungen erfolgten auch mittels abgeschnittener Zweige. Diese „Schnat“ oder auch „Schnad(e)“ genannte Kennzeichnung stammt aus dem mittelhochdeutschen „snatte“ und bezeichnet ein junges, abgeschnittenes Reis (Zweig). Laut Brockhaus dient in der Umgangssprache das Wort „Schnatte“ auch der Bezeichnung für Kerbe, Ritz oder Riss. Vielfach dienten freistehende, markante Bäume als Grenzzeichen. Diese „Schnatbäume“ wurden meist besonders gekennzeichnet, indem ein Merkmal in den Stamm gehauen, „gepleckt“ wurde, sei es ein besonderes Kennzeichen wie Kreuz oder ein Wappen. Oftmals mussten auch eingegrabene Pfähle als Richtzeichen dienen. Diese hölzernen Grenzzeichen hatten aber den Nachteil, dass sie im Laufe der Jahre verrotteten oder unkenntlich wurden. Man ging dann dazu über, das Holz durch Steine zu ersetzen. Solche Grenzsteine wurden auch „Palsteine“ oder „Friedesteine“ genannt, weil sie einen befriedeten Raum umschlossen. So hatte sich im Laufe der Zeit eine ziemlich genaue Grenzziehung herausgebildet. In Ermangelung von Karten und sonstigen Aufzeichnungen musste nun natürlich dafür gesorgt werden, dass die Schnatzeichen nicht in Vergessenheit gerieten, sondern von Generation zu Generation beachtet wurden. Daraus ergaben sich die „Schnatgänge“ genannten Grenzbegehungen, die wegen der meist großen Ausdehnung der Marken, dem gemeinsamen Nutzungsgebiet der angrenzenden Höfe, im Allgemeinen nicht an einem einzigen Tag durchgeführt werden konnten. So verteilte man die Begehung der Markengrenzen in einzelne Abschnitte auf ein oder mehrere Jahre.

Lange schon sind die Grenzen der Besitz- und Herrschaftsverhältnisse nun geodätisch vermessen, versteint und kartenmäßig erfasst. Dieses hatte letztendlich in der Hauptsache jedoch monetäre Gründe! So wurde Anfang des 19. Jahrhunderts im hiesigen Bereich die Einführung der Grundsteuer angeordnet. Zur Festlegung der Grundsteuerumlage wurde von 1822 bis 1825 in unserem Raum die katastermäßige Vermessung der Grundflächen durchgeführt. Resultat daraus ist u.a. die Urkatasterkarte der ehemaligen Gemeinde Wulfen von 1822.

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Die in dieser Urkatasterkarte dargestellte Markierung der insgesamt ca. 35 km langen Grenze der ehemals selbstständigen Gemeinde Wulfen wurde bei den vom Heimat- verein Wulfen 1922 e.V. bereits seit 1936 durchgeführten Schnatgängen zugrunde gelegt. Mit den anfangs genannten Begründungen hätten die Grenzbegehungen in unserer heutigen Zeit keine Berechtigung mehr. Um aber den Mitbürgern und nachkommenden Generationen die ehemaligen Grenzen ihres Heimatortes in Erinnerung zu halten und damit der Bevölkerung die Heimat und ihre Geschichte näher zu bringen, hält der Heimatverein Wulfen an diesem uralten westfälischen Brauchtum fest.

Die Wulfener Schnatgänge
NummerDatumAbschnittgemeinsame Grenze mitTeilnehmerLeitung des Schnat-ganges
0125.04.1936NordwestLembeck-Rhade-Altschermbeck45Heinrich Schwingenheuer
0229.05.1937SüdwestAltschermbeck-Hervest40Heinrich Schwingenheuer
12 Jahre Unterbrechung (2. Weltkrieg)
0321.05.1949SüdöstHervest-Lippramsdorf50Herm.-Jos. Schwingenheuer
0409.09.1950NordostLippramsdorf-Lembeck25Herm.-Jos. Schwingenheuer
0526.04.1952NordLembeck18Herm.-Jos. Schwingenheuer
0630.05.1958NordwestLembeck-Rhade-Altschermbeck41Herm.-Jos. Schwingenheuer
26 Jahre Unterbrechung
0730.03.1985NordLembeck18Bernhard Schumacher
0825.01.1986Nord/NordostLembeck36Bernhard Schumacher
0926.04.1986Nord/NordwestLembeck, Jubiläumsgang,
50 Jahre
28Bernhard Schumacher
1006.12.1986Süd/NordostLippramsdorf-Lembeck15Bernhard Schumacher
1112.09.1987SüdHervest-Lippramsdorf21Bernhard Schumacher
1220.05.1989SüdHervest-und Grenze Bauersch. Dorf-Deuten17Heinz Sawitzki
10 Jahre Unterbrechung
1324.10.1999NordLembeck7Heinz Sawitzki
1419.03.2000Nord/NordostLembeck17Heinz Sawitzki
1505.11.2000SüdHervest-und Grenze Bauersch. Dorf-Deuten15Heinz Sawitzki
1601.04.2001SüdostHervest-Lippramsdorf20Willi Duwenbeck
1711.11.2001NordostLippramsdorf-Lembeck30Heinz Sawitzki/
Willi Duwenbeck
1816.08.2003SüdHervest-Lippramsdorf und Grenze Bauersch. Dorf-Deuten27Willi Duwenbeck
1904.04.2004NordLembeck30Heinz Sawitzki
2007.11.2004NordwestLembeck-Rhade-Altschermbeck46Heinz Sawitzki
2117.04.2005SüdwestAltschermbeck-Holsterhausen35Heinz Sawitzki
2206.11.2005SüdHervest60Heinz Sawitzki
2309.04.2006SüdHervest-Lippramsdorf115Heinz Sawitzki/
Willi Duwenbeck
2412.11.2006SüdLippramsdorf50Heinz Sawitzki
2515.04.2007Süd/NordostLippramsdorf-Lembeck65Heinz Sawitzki
2611.11.2007NordostLembeck23Heinz Sawitzki
2713.04.2008NordLembeck28Heinz Sawitzki